Premierenkritik: Bilder Deiner großen Liebe
Die Premiere von „Bilder Deiner großen Liebe“ war zu Recht umjubelt und wurde mit minutenlangem Applaus bedacht. Es spielen in dieser Inszenierung Andreas Hagl, Amelie Heiler, Susan Hecker und Carsten Klemm. Regie führt Annett Segerer.
Dass die Aufführungen des Theater Wasserburgs nicht immer zu den leichteren Inszenierungen gehören, ist der Rezensent gewohnt. Und mit jedem Besuch lässt er sich gerne und immer wieder drauf ein. (Und dass diese Kritik als Text erscheint, ist einer Erkältung geschuldet.)
Die Bühnenfassung von Robert Koall verdichtet das Romanfragment von Wolfgang Herrndorf zu einem Roadmovie, in dem die Protagonistin Isa zu Fuß geht. Vielleicht mag es hilfreich sein, vor dem Besuch auch Herrndorfs Film „Tschick“ gesehen zu haben, manche sehen „Bilder Deiner großen Liebe“ als Fortsetzung.
Jedenfalls kann sich Isa im Erleben der Gegensätze von Natur und Technik, Wunsch und Wirklichkeit ergehen. Ja, sogar der Unterschied zwischen Verrückt-Sein und Normalität scheint überbrückbar.
Wenn man Wolfgang Herrndorfs Lebensgeschichte im Hinterkopf hat, weiß man, dass er den Roman mehr oder minder auf dem Totenbett, bzw. in der Phase davor geschrieben hat. Dass dieser das Licht der Welt erblickte, ist auch Kathrin Passig zu verdanken, die zusammen mit Marcus Gärtner aus den Fragmenten einen Roman schuf. Wenngleich die Fragmente Bestand haben.
Annett Segerers großes Verdient ist es, die Figur der Isa in vier Persönlichkeiten aufgespalten zu haben: die junge und die alte Frau, der junge und der alte Mann. Sie alle vereint die Farbe gelb, bis hin zu den Finger- und Zehennägeln. (Warum bei Carsten Klemm nur zwei Nägel der linken Hand lackiert waren, kann der Rezensent sich nicht erklären. Muss es aber vielleicht auch nicht.) Auch die drei Biertragerl, der Tisch und ein Plastikbarhocker sind gelb – und bevor ich hier die Sinnfrage stelle, werfe ich lieber in den Raum, dass das ausstattungmäßig durchaus der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Station entgegenkommt. Und aus dieser entkommt Isa ja. Die Aufspaltung in vier Persönlichkeiten, Lebensalter und Geschlechter lässt dem Betrachter die Möglichkeit, ebenso vier Positionen einzunehmen. Dass diese vier mehr miteinander zu tun haben als vier nebeneinander lebende Menschen, erschließt sich am Schluss, wenn paarweise mit Partnerwechsel getanzt wird. Und auch schon vorher haben die einzelnen Charaktere miteinander in Zweierbeziehungen zu tun.
Die Aufspaltung der Protagonisten in mehrere Personen scheint diese Saison übrigens ein beliebter Kniff im Theater Wasserburg zu sein: Schon bei den Räubern doppelte Nik Mayr Franz und Karl. Kann man machen, muss man aber nicht: Nur, es hilft ungemein, die vielschichtige Isa zu analysieren.
Vor der Aufführung stand ich mit einigen Theaterleuten beim Rauchen zusammen. Mit dabei auch Annett Segerer. Auf meinen Satz hin: „Ich bin gespannt, was Du Dir dieses Mal hast einfallen lassen.“ entgegnete sie: „Ich erzähle nur eine Geschichte.“ Das ist ihr rundum gelungen.
Sei es in der Begegnung mit dem gehör- und sprachlosen Menschen, der nicht mitkriegen muss, was rundherum erzählt wird, sei es in der Parabel des Bankraubs, dessen Aufbewahrungsort der Beute schwerer als der Raub selbst geheim zu halten sei: Was ist Glück, was ist Verantwortung, was Geschick? Eine Antwort bekommt der Zuschauende nicht, es sei denn, er versucht die Zwischentöne zu erhaschen: Dieses (spieß-) bürgerliche Leben ist es wahrscheinlich nicht.
„Leben ist eben nur, was geschieht.“ Und sei es nur beim Rauskramen der Erinnerungen einer Schachtel mit Fotos.
Es lohnt sich absolut, in diese Inszenierung zu gehen.
Notizen:
Bilder Deiner großen Liebe ist noch am 6., 7., 8. Dezember und am 17., 18., 19. Januar zu sehen. Am 17. Januar ist Theatertag mit ermäßigten Eintritt für alle. Die Vorstellung dauert rund 80 Minuten, ohne Pause. Zu den Tickets. Zur kuratierten Musikliste auf Spotify.